Mehr wissen, besser leben: Ihr Hausarzt rät!
Krankengymnastik
- Heilgymnastik?
Eine schwierige
Materie, zugegeben, und noch schwieriger, sie Ihnen, den Patienten, wirklich
nahezubringen, sozusagen warm ans Herz zu legen.
Sie als Patient kommen zum Arzt und erwarten mit Recht, daß Ihre Behandlung cito
et jucunde (lateinisch: schnell und angenehm) sei. Samuel Hahnemann hat das
so für seine homöopathische Therapie gefordert, natürlich gilt das Gebot
genauso für die naturwissenschaftliche Medizin.
Warum verschreiben Ärzte zwar bereitwillig
Krankengymnastik, aber eher zögernd die von den Patienten so geliebten,
wohltuenden Massagen? Sind Ärzte die Büttel eines Gesundheitssystems, das
nur möglichst kostengünstig arbeiten soll? Wollen die Ärzte an Ihren, den
Patienten, sparen, wollen die Ärzte Sie ärgern und Ihnen verweigern, was
doch gut tut, aber vielleicht zu teuer ist? Denn viele Patienten haben doch,
wenn sie mit rheumatischen Beschwerden zum Doktor kommen, das sichere Gefühl:
Ruhe, Wärme und die kundige, muskellockernde Hand des Masseurs täten mir jetzt gut.
Patienten erwarten doch rasche Linderung ihrer Verspannungen und
Schmerzen!
Um es vorweg zu nehmen: natürlich wollen alle
Ärzte, daß ihre Patienten rasch gesund werden. Sie verschreiben den Kranken das,
was Sie zum Gesundwerden brauchen. Als Kassenärzte sind sie verpflichtet, die
effektivste Lösung zu wählen. Denn die Behandlung muß nach dem Willen des
Gesetzgebers ausreichend und zweckmäßig sein, darf aber das Maß des
Notwendigen nicht überschreiten.
Ich will versuchen, Ihnen ärztliche
Gedankengänge und darauf aufbauende rationale Behandlungsmöglichkeiten
verständlich darzulegen:
Die häufigste Ursache von Weichteilschmerzen
beim Zivilisationsmenschen ist muskuläres Ungleichgewicht. Nachdem wir uns
über die Jahrmillionen zu optimal angepaßten Lauftieren entwickelt haben,
sind wir modernen Zivilisierten innerhalb nur einer Generation zu echten
Sitzmenschen geworden. Noch unsere Großeltern mußten täglich weite Strecken
zu Fuß marschieren, aufs Feld, in die Arbeit oder sonst wohin: Die
Notwendigkeiten des täglichen Lebens erforderten ja weit mehr körperliche
Ausdauer als heute. Ein einigermaßen trainierter Körper war daher für die
meisten eine Selbstverständlichkeit. Die Natur hat uns ja für dieses
mühsame Leben geschaffen.
Statt zu laufen, setzen wir uns heute ins Auto und
fahren zur Arbeit. Die Arbeit selbst ist meist körperlich weniger anstrengend,
dafür monotoner als früher. Häufig sind es Kontrollarbeiten, bei denen die geistige Anspannung
stärker im Vordergrund steht als die körperliche. Andere Arbeiter machen Akkordarbeit
und dabei immer
dieselben Bewegungen: Einzelne Muskelgruppen werden andauernd gefordert,
andere selten oder nie: so schlittern wir ins muskuläre Ungleichgewicht.
Muskuläres Ungleichgewicht aber ist die Quelle
von Verspannungen und Schmerzen. Stellen Sie sich z.B. die Schulter vor: in
tadelloser Haltung sitzt jedes Teil an seinem Platz, alles paßt zueinander.
Wenn die Schultern nun den schwachen Muskeln zu schwer werden und nach vorn zu
hängen beginnen, verschieben sich in der Schulter die Einzelteile gegeneinander, alles paßt
dann immer weniger zusammen: Es kommt zu Reibungen,
Reizungen und zu Entzündungen im Schultergelenk.
Natürlich passiert das nicht nur in der Schulter: In allen großen Gelenken und in jedem Wirbelgelenk
passiert dasselbe, auch dort kommt es zu Fehlstellung, Reizung und
Entzündung. An der Wirbelsäule teilt sich diese Entzündung den austretenden Nervenwurzeln
mit. Allmählich entstehen ausstrahlende chronische Schmerzen, als Folge der
vor sich hinschwelenden Entzündungen zeigen sich
Verschleißerscheinungen.
Das mit Bewegungsmangel entstehende Übergewicht tut ein Übriges, um die
Gelenke zu belasten.
Um ein Bild zu gebrauchen: Unsere körperliche
Situation ist vergleichbar der eines Orchesters, bei dem der Auftritt einiger
weniger Solisten übermäßig lange dauert. Die gerade nicht benötigten
Orchestermitglieder dösen entweder oder verlassen gar den Raum. Wenn es
später Zeit ist, wieder gemeinsam zu musizieren, fehlt ein Teil der Musiker,
ein anderer ist eingeschlafen. Aber die Musik muß weitergehen. Deshalb haben
die aktiven Spieler nun nur noch die Möglichkeit, weiterzuspielen. Sonst ist
das Konzert vorzeitig zu Ende. Also spielen die Solisten und spielen - der pausenlose
Einsatz überfordert sie völlig.
Dieses Bild übertragen auf uns
Zivilisationsgeschädigte bedeutet: einige unserer Muskeln - nämlich die, die
sowieso dauernd arbeiten müssen - sind total überanstrengt. Die muskulären
Mitstreiter aber, die Ihnen eigentlich zur Verfügung stehen sollten, werden
durch einseitige Arbeitsweise oder einfach durch schlichte Untätigkeit zu
selten gebraucht. Sie sind zurückgebildet und schwach. Denn unser Körper ist
von Natur aus auf äußerste Sparsamkeit getrimmt. All sein Material, wirklich
alles, sei es Muskel, Knochen, Knorpel oder Gehirn, wird bei seltenem oder
geringfügigem Gebrauch soweit zurückgebildet, daß die täglich
erforderliche Arbeit eben noch ausführt werden kann. Umgekehrt wird alles,
was täglich intensiv gebraucht wird, ganz allmählich (!) aufgebaut:
Muskelmasse, Materialqualität und Verschleißfestigkeit nehmen bis zu einem
Optimum zu.
Deshalb ist allmählich aufbauendes, konstantes Training gut. Abruptes,
plötzliches Überlasten, besonders nach vorangehender längerer Untätigkeit,
bedeutet dagegen Materialzerstörung.
Würde ein Doktor in dieser Situation Massagen
verschreiben, dann wäre das vielleicht gut gemeint, in Wirklichkeit aber das
Gegenteil von "gut". Denn neue Muskelhelfer für die überlasteten
Solisten stünden noch nicht bereit, schon im Moment des Aufstehens von der
Massagebank begännen die alten, schmerzerzeugenden Kräfte wieder zu wirken.
In kürrzester Zeit hätte sich die alte Überlastungssituation wieder
etabliert.
Vornehmste Aufgabe jedes Krankengymnasten und
Masseurs ist es, einen Patienten soweit vom Schmerz zu befreien, daß die
eigentlich Therapie, das Ins-muskuläre-Gleichgewicht-bringen, ohne allzu
große Schmerzen angegangen werden kann. Jetzt soll die eigentliche,
Ursachen behandelnde Therapie beginnen, das Wachrütteln der Helfer, der
faulen Musiker des Orchesters. Erst wenn diese wieder dabei sind, wieder wach
sind, wieder arbeiten, wieder mitmusizieren, können die erschöpften
muskulären Solisten ihre Instrumente sinken lassen, sich entspannen, sich
erholen. Erst dann werden Sie, der Patient, auf Dauer schmerzfrei sein
können.
Betrachten Sie Heilgymnastik also bitte nicht als
Attacke auf Ihren Feierabend, auf Ihre wohlverdiente Abendruhe, sondern
akzeptieren Sie bewährten Rat: krankengymnastische Übungen und Krafttraining
sind im besten Sinne Heilgymnastik, denn sie heilen die Ursache Ihres
Leidens.
Und noch ein Wort zum Schluß: der Arzt erkennt
das Ungleichgewicht bestimmter Muskelgruppen als die eigentliche Ursache Ihres
Leidens. Er verschreibt Ihnen als Heilmittel Krankengymnastik. Die
krankengymnastische Therapie ist Unterricht beim Spezialisten. Der zeigt
Ihnen, was Sie selbst tun können, um Ihren Körper zu heilen. Als Ihr Lehrer
legt er das Fundament, er zeigt Ihnen, welche Hilfen Ihr Körper braucht. Denn
Ihr Körper will gesund werden, wenn Sie ihm die Chance geben.
Am Ende des Unterrichts sind Sie jedoch keineswegs geheilt. Sie fühlen Sie
sich aber deutlich besser, die Schmerzen sind weg!
Es liegt nun an Ihnen selbst, Ihrem Körper in
Eigeninitiative das für ihn Notwendige zukommen zu lassen. Wenige
Unterrichtsstunden waren ja noch keine wirklich dauerhafte Therapie.
Wenn Sie begriffen haben, daß die für Ihren speziellen Fall ausgesuchten
Übungen Ihnen ermöglichen, in muskulärem Gleichgewicht und damit in
körperlicher Harmonie zu leben, dann hat die eigentliche Therapie
begonnen.
Wenn Sie verstanden haben, daß durch Ihre ganz individuelle persönliche, berufliche
und häusliche Situation immer wieder Ihr individuelles, altes, schmerzhaftes
Ungleichgewicht hervorrufen wird und daß nur Sie dieses Ungleichgewicht immer
wieder vermeiden können durch tägliche, gezielte Aktivierung Ihrer
"Schläfer", dann ist die Krankengymnastik wirklich eine
Heilgymnastik geworden.
Nebenbei: Wußten Sie, daß Raucher etwa
doppelt so häufig wie Nichtraucher Kreuzschmerzen haben und daß ihre
Schmerzen länger andauern? Erstaunlich, nicht war? Man vermutet, daß
vorzeitige Alterungsvorgänge der Adern und Vitaminmangelsituationen die
Ursachen sind.
Bitte sprechen Sie mich an, wenn Sie Fragen haben.
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