Mehr wissen, besser leben - Ihr Hausarzt rät!
Der
geheilte Patient
(von Johann Peter Hebel)
Reiche Leute haben trotz ihrer gelben Vögel doch
manchmal auch allerlei Lasten und Krankheiten auszustehen, von denen gottlob
der arme Mann nichts weiß, denn es gibt Krankheiten, die nicht in der Luft
stecken, sondern in den vollen Schüsseln und Gläsern, und in den weichen
Sesseln und seidenen Betten, wie jener reiche Amsterdamer ein Wort davon reden
kann. Den ganzen Vormittag saß er im Lehnsessel und rauchte Tabak, wenn er
nicht zu träge war, oder hatte Maulaffen feil zum Fenster hinaus, aß aber zu
Mittag doch wie ein Drescher, und die Nachbarn sagten manchmal: "Windet´s
draußen, oder schnauft der Nachbar so?"
Den ganzen Nachmittag aß und trank er ebenfalls,
bald etwas Kaltes, bald etwas Warmes, ohne Hunger und ohne Appetit, aus lauter
Langeweile bis an den Abend, also, daß man bei ihm nie recht sagen konnte, wo
das Mittagessen aufhörte, und wo das Nachtessen anfing. Nach dem Nachtessen
legte er sich ins Bett, und war so müd, als wenn er den ganzen Tag Steine
abgeladen oder Holz gespalten hätte. Davon bekam er zuletzt einen dicken
Leib, der so unbeholfen war, wie ein Maltersack. Essen und Schlaf wollten ihm
nimmer schmecken, und er war lange Zeit, wie es manchmal geht, nicht recht
gesund und nicht recht krank; wenn man ihn selber hörte, so hatte er 365
Krankheiten, nämlich alle Tage eine andere.
Alle Ärzte, die in Amsterdam sind, mußten ihm
raten. Er verschluckte ganze Feuereimer voll Mixturen, und ganze Schaufeln
voll Pulver und Pillen wie Enteneier so groß, und man nannte ihn zuletzt
scherzweise nur die zweibeinige Apotheke. Aber alle Arzneien halfen ihm
nichts, denn er befolgte nicht, was ihm die Ärzte befahlen, sondern sagte:
"Fouder, wofür bin ich ein reicher Mann, wenn ich soll leben wie ein
Hund, und der Doktor will mich nicht gesund machen für mein Geld?"
Endlich hörte er von einem Arzt, der hundert
Stunden weit weg wohnte, der sei so geschickt, daß die Kranken gesund werden,
wenn er sie nur recht anschaue, und der Tod geh´ ihm aus dem Weg, wo er sich
sehen lasse. Zu dem Arzt faßte der Mann ein Zutrauen und schrieb ihm seinen
Umstand. Der Arzt merkte bald, was ihm fehlte, nämlich nicht Arznei, sondern
Mäßigkeit und Bewegung, und sagte: "Wart, dich will ich bald kuriert
haben." Deswegen schrieb er ihm ein Brieflein folgenden Inhalts:
"Guter Freund, Ihr habt einen schlimmen Umstand, doch wird Euch zu helfen
sein, wenn Ihr folgen wollt. Ihr habt ein bös Tier im Bauch, einen Lindwurm
mit sieben Mäulern. Mit dem Lindwurm muß ich selbst reden, und Ihr müßt zu
mir kommen. Aber für´s erste, so dürft Ihr nicht fahren oder auf dem
Rößlein reiten, sondern auf des Schuhmachers Rappen, sonst schüttelt Ihr
den Lindwurm, und er beißt Euch die Eingeweide ab, sieben Därme auf einmal
ganz entzwei. Fürs andere dürft Ihr nicht mehr essen, als zweimal des Tages
einen Teller voll Gemüse, mittags ein Bratwürstlein dazu, und nachts ein Ei,
und am Morgen ein Fleischsüpplein mit Schnittlauch drauf. Was Ihr mehr esset,
davon wird nur der Lindwurm größer, also daß er Euch die Leber erdrückt,
und der Schneider hat Euch nimmer viel anzumessen, aber der Schreiner. Dies
ist mein Rat, und wenn Ihr mir nicht folgt, so hört Ihr im anderen Frühjahr
den Gukuk nimmer schreien. Tut, was Ihr wollt!"
Als der Patient so mit ihm reden hörte, ließ er
sich sogleich den anderen Morgen die Stiefel salben und machte sich auf den
Weg, wie ihm der Doktor befohlen hatte. Den ersten Tag ging es so langsam,
daß wohl eine Schnecke hätte können sein Vorreiter sein, und wer ihn
grüßte, dem dankte er nicht, und wo ein Würmlein auf der Erde kroch, das
zertrat er. Aber schon am zweiten und am dritten Morgen kam es ihm vor, als
wenn die Vögel schon lange nimmer so lieblich gesungen hätten wie heut, und
der Tau schien ihm so frisch und die Kornrosen im Feld so rot, und alle Leute,
die ihm begegneten, sahen so freundlich aus, und er auch, und alle Morgen,
wenn er aus der Herberge aus ging, war´s schöner, er ging leichter und
munterer dahin, und als er am achtzehnten Tag in der Stadt des Arztes ankam
und den andern Morgen aufstand, war es ihm so wohl, daß er sagte: "Ich
hätte zu keiner ungeschicktern Zeit können gesund werden als jetzt, wo ich
zum Doktor soll. Wenns mir doch nur ein wenig in den Ohren brauste, oder das
Herzwasser lief mir."
Als er zum Doktor kam, nahm ihn der Doktor bei
der Hand und sagte ihm: "Jetzt erzählt mir denn noch einmal von Grund
aus, was Euch fehlt!" Da sagte er: "Herr Doktor, mir fehlt gottlob
nichts, und wenn Ihr so gesund seid wie ich, so soll´s mich freuen." Der
Doktor sagte: "Das hat Euch ein guter Geist geraten, daß Ihr meinem Rat
gefolgt habt. Der Lindwurm ist jetzt abgestanden. Aber Ihr habt noch Eier im
Leib, deswegen müßt Ihr wieder zu Fuß heimgehen, und daheim fleißig Holz
sägen, daß niemand sieht, und nicht mehr essen, als Euch der Hunger ermahnt,
damit die Eier nicht ausschlüpfen, so könnt Ihr ein alter Mann werden"
und lächelte dazu. Aber der reiche Fremdling sagte: "Herr Doktor, Ihr
seid ein feiner Kauz, und ich versteh´ Euch wohl" und hat nachher dem
Rat gefolgt und 87 Jahr, 4 Monate, 10 Tage gelebt, wie ein Fisch im Wasser so
gesund, und hat alle Neujahr dem Arzt 20 Dublonen zum Gruß geschickt.
Johann Peter Hebel: Der geheilte
Patient. Aus: Schatzkästchen des rheinischen Hausfreundes, Zürich 1950,
S.176-180
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